Eat and Drink Manche Sprachtabus wechselten sogar mit den Jahreszeiten: Bei den kanadischen Kwakiutl-Indianern hatten die angesehensten Männer des Stammes zwei verschiedene Namen, einen für den Sommer und einen für den Winter. Den Winternamen erhielten sie von ihren Schutzgeistern, und da diese ihren Schutzbefohlenen nur im Winter erschienen, durften die Winternamen nicht im Sommer ausgesprochen werden. Umgekehrt war es verboten, in der kalten Jahreszeit Sommernamen zu verwenden.
Viele Unterscheidungen, die unsere Sprache penibel vermerkt, sind in den Sprachen Nordamerikas dagegen unwichtig. Zum Beispiel die Trennung zwischen Singular und Plural: Einem Kwakiutl-Indianer ist es -zumindest sprachlich- völlig egal, ob er ein Haus oder mehrere Häuser sieht. Die Grammatik macht hier keinen Unterschied.
Für die Navajo ist es sogar unwichtig, ob ein Gegenstand blau oder grün ist. Dafür haben sie zwei verschiedene Wörter für schwarz. Aber heißt das, daß ein Navajo den Unterschied zwischen Grün und Blau nicht erkennt? Denken die Indianer anders, weil ihre Sprache anders funktioniert?
"Tatsache ist, daß die »reale Welt« großenteils unbewußt auf den sprachlichen Gewohnheiten der jeweiligen Gruppe beruht", meint Edward Sapir, der Pionier der modernen Indianersprachforschung. Sapir und sein Schüler Benjamin Lee Whorf waren davon überzeugt, daß wir unsere Umwelt nur durch die Brille unserer Muttersprache wahrnehmen können: Die Sprache, mit der wir aufwachsen, schickt uns auf eine bestimmte Gedankenbahn, versperrt andere Gleise und zwingt uns ihre Sicht der Welt auf. Aber ob wirklich die Sprache unsere Weltsicht bestimmt, wie die "Sapir-Whorf-Hypothese" sagt, oder ob umgekehrt unsere Sicht der Welt die Sprache prägt - diese Frage ist so schwer zu beantworten wie die nach der Henne und dem Ei.

Hungry Über die Hälfte der Indianersprachen Nordamerikas sind verschwunden, und auch den übrigen macht der allgegenwärtige Einfluß des Englischen zu schaffen. Es gibt heute kaum noch eine Indianersprache in den USA und in Kanada, die nicht akut vom Aussterben bedroht wäre.
Längst nicht alle Indianergemeinden nehmen das Sterben ihrer Sprachen tatenlos hin. Viele Stämme haben Unterrichtsprogramme entwickelt, um den Kindern die Wörter und Grammatik ihrer Vorfahren wieder beizubringen. Trotzdem werdenn wohl nur ein paar der größten Sprachen langfristig überleben: Die der Navajo, Cree, Ojibwa, Dakota, Cherokee und Eskimos könnten es schaffen.
Von den übrigen werden nur Spuren bleiben, ein paar bunte Halme in der sprachlichen Monokultur. Zahllose amerikanische Ortsnamen sind indianischen Ursprungs, rund die Hälfte der 50 US-Bundesstaaten tragen indianische Namen - von Alabama über Iowa bis Wyoming. Und ein paar indianische Vokabeln wie Tabak, Mais oder Mokassin sind inzwischen fester Bestandteil unserer Sprache. Vieles aber ist bereits unwiederbringlich verloren. Besonders jüngere Indianer beklagen den Verlust ihrer Sprache und Kultur: "Jedesmal, wenn einer unserer Alten stirbt, ist es, als würde eine ganze Bibliothek in Flammen aufgehen."

Wie kamen die Indianer zu ihrem Namen?

Wenn ein Indianerjunge "Große Gute Wolke" hieß, dann hatte sein Stamm diesen Namen mit Bedacht ausgesucht. Denn Namen hatten in der Glaubenswelt der Indianer magische Kräfte. Jungen wurden oft nach symbolträchtigen Tieren benannt, auch nach klimatischen Besonderheiten oder Sternkonstellationen zur Zeit der Geburt. Die Namen der Mädchen stammten von Pflanzen, Sonnenphasen oder Eigenschaften des Wassers.
Als ganz persönliches Geschenk des Stammes hatte der Namen eine so ehrfurchtgebietende Aura, daß er bei manchen Stämmen nur von den engsten Verwandten ausgesprochen werden durfte. Alle anderen benutzten einen Kosenamen.
Auch die Namen von Toten waren bei vielen Stämmen tabu. Man fürchtete, das Aussprechen ihres Namens könnte sie in ihrer Ruhe stören.
Der Name sollte gleichzeitig Ruf und Charakter seines Trägers symbolisieren und ihm als Ideal dienen. Ein Junge, der "Adler" hieß, wurde dazu erzogen, mutig zu sein, denn dies war die Bedeutung seines Namens. Andererseits konnten besondere Taten oder ein prägendes Ereignis einem Indianer zu einem neuen Namen verhelfen.
Es war üblich, den Namen im Laufe des Lebens zu wechseln. Bei vielen Stämmen bekamen die Jungen zum Beispiel einen neuen Namen, wenn sie in den Bund der Männer aufgenommen wurden. Die Comanchen konnten ihren Namen auch vorübergehend ändern - wenn sie krank waren und die Krankheitsdämonen mit falschen Namen irreführen wollten.

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