C H E Y E N N E

Die Büffelfrau

Einst war der Stamm verstreut. Er kampierte in kleinen Gruppen an verschiedenen Orten. In einem Lager
gab es einen statlichen jungen Mann. Er sah sehr gut aus. Sein Vater war stolz auf ihn. Er baute für ihn
eine Hütte, in der der junge Mann allein leben konnte.
Verschiedene Mädchen hatten sich darum bemüht, ihn zu heiraten, aber er hatte sie abgewiesen.
Eines Tages kam ein Mädchen in sein Dorf, ein sehr schönes Mädchen. Sie hatte gelbes Haar. Er mochte
sie und nahm sie in sein Zelt. Er heiratete sie. Danach kam ein anderes Mädchen. Sie hatte dunkles Haar.
Er heiratete auch sie. Das erste der beiden Mädchen war ein Elch, das zweite eine junge Büffelkuh, aber
der junge Mann wußte nichts davon. Sie hatten menschliche Gestalt angenommen.
Der junge Mann lebte mit diesen zwei Frauen. Nach einiger Zeit gebar jede von ihnen ein Kind, und die
Jungen wuchsen heran, bis sie zu groß geworden waren, um noch miteinander zu spielen. Eines Tages
stritten sich die Kinder. Natürlich ergriff jede Mutter für ihr Kind Partei. Die Elchfrau war so zornig, daß
sie das Lager verließ und ihren Sohn mit sich nahm. Die Büffelfrau erklärte, nun wolle sie auch nicht
länger bleiben. Auch sie ging fort.
Dies geschah, während der junge Mann auf den Hügeln war, um sich nach seinen Hunden umzuschauen.
Als er ins Lager zurückkehrte und feststellen mußte, daß beide Frauen fortwaren, wurde er zornig und
sprach zu seinem Vater: "Warum hast due es zugelassen, daß die Frauen fortgegangen sind? Warum
hast du sie nicht aufgehalten? Ich sah sie über den Hügel davonlaufen, als ich ins Lager kam."
Der junge Mann nähte sich ein Paar Moccasins und sagte zu seinem Vater: "Ich gehe ihnen nach. Ich
will versuchen, sie zurückzuholen." Er verließ das Lager und stieg auf einen Hügel. Als er oben
angekommen war, stand er da für einige Zeit und überlegte noch einmal, welcher seiner beiden Frauen
er folgen solle. E entscchloß sich für die Büffelfrau. Er folgte über eine lange Wegstrecke hin ihrer
Spur. Schließlich verwandelte sich die Spur der beiden in die Spur einer Büffelkuh und eines Büffelkalbs.
Er ging nun auf dieser Fährte weiter bis zum späten Abend und sah schießlich in der Ferne eine Hütte
vor sich. Es war die seiner Frau. Ein kleiner Junge spielte draußen. Als er den Vatr kommen sah, rannte
er zur Mutter und rief: "Mutter, mein Vater kommt." Die Frau sagte zu dem Kind: "Geh und grüße deinen
Vater. Sag ihm aber, er dürfe nicht näher herankommen. Er soll umkehren und wieder heimgehen. Sag ihm,
daß ich in meine Heimat unterwegs bin, die weit fort liegt." Der Junge tat wie ihm geheißen, und als er
vor dem Vater stand, richtete er ihm aus, was die Mutter ihm aufgetragen hatte. Aber der junge Mann
weigerte sich heimzugehen. Er sprach: "Nein, ich liebe dich, Sohn. Ich folge dir."
Er betrat die die Hütte. Sie war ordentlich eingerichtet. Bei Nacht legte er sich links von der Tür neben
den kleinen Jungen. Seine Frau lag rechts von der Tür. Als er am Morgen erwachte, war er allein. Auch
die Hütte war fort. Er befand sich unter freiem Himmel auf offener Prärie.
Er stand auf und sah sich nach Spuren um. Er konnte die Spur ausmachen, die die Zeltstangen beim
Wegschleifen hinterlassen hatten und folgte ihr. Plötzlich hörte auch diese Spur auf und wieder sah man
nur die Fährte einer Büffelkuh und eines Kalbs. Den ganzen Tag über ging er den Tierspuren nach. Am
Abend sah er vor sich einen Bach. Dort war wieder eine einsame Hütte, nämlich die seiner Frau und
seines Sohnes. Der Junge sah ihn kommen. Er berichtete der Mutter davon, und diese schickte dem Vater
dieselbe Botschaft wie schon am Tag zuvor. Wieder weigerte sich der Vater umzukehren. Er sprach:
"Mein Sohn, ich folge dir um deinetwillen. Ich liebe dich." In dieser Nacht legte er sich wieder dicht neben
sein Kind nieder, nahm es in die Arme und hielt es fest. Er dachte, so werde er merken, wenn es in der
Nacht oder am frühen Morgen aufstehe. Aber am Morgen, als er erwachte, lag er abermals auf der offenen
Prärie. Keine Hütte war mehr da.
An diesem Tag folgte er der Spur traurig und weinend. Am Abend sah er die Hütte. Der Junge sah ihn, und
wieder lautete die Botschaft der Frau wie am Tag zuvor. Aber das Kind fügte hinzu: "Wir werden es schwer
haben, dort, wo wir hingehen, etwas zu essen zu finden. Du mußt umkehren." Der Vater aber sagte:
"Nein, mein Sohn. Ich folge dir und deiner Mutter." In dieser Nacht machte er das Kind an seinem Gürtel
fest, wel er meinte, so könne es unmöglich durch Zauber entführt werden. Aber am Morgen war er wieder
allein. Wieder ging er den beiden nach und holte sie am Abend ein. Ehe er die Hütte diesmal erreichte, ließ
ihm die Frau wieder durch den Jungen ausrichten, er solle endlich umkehren. "Sie sagt", erklärte ihm der
Sohn, "daß wir nun schon nahe ihrer Heimat sind. Mein Großvater und meine Großmutter sind mächtige
Leute. Sie könnten dich töten." Der Mann wollte nicht umkehren, sondern blieb in der Nacht wieder in der
Hütte. Seine Frau legte sich neben ihn. Sie schlief mit ihm. Das machte ihm Hoffnung. Er versuchte, die
ganze Nacht munter zu bleiben. Aber am nächsten Morgen fand er sich wieder allein.
Wieder verfolgte er die Spur der beiden, und wieder kam der Junge und sagte ihm, er müsse umkehren.
Er sprach: "Es ist ein schlechter Ort, an den meine Mutter geht. Es wird gefährlich werden für dich, wenn
du nicht umkehrst." Der Mann erwiderte: "Nein, mein Sohn, ich kehre nicht um. Ich folge dir und deiner
Mutter. Ich liebe dich, und ich verlasse dich nicht." "Nun", antwortete der Sohn, "es wäre wirklich besser,
du gingest zurück. Dies wird eine lange Reise. Du wirst Durst leiden, denn es gibt in diesem Land kein
Wasser." "Trotzdem, mein Sohn", beharrte der Vater, "ich folge dir."
"Wenn du unbedingt entschlossen bist, mitzukommen", sagte der Junge, "dann paß auf unsere Spuren auf,
und wann immer ich einen Schritt zur Seite mache, wird Wasser dort zu finden sein. Außerdem will ich dir
von Zeit zu Zeit eine Schale mit Fleisch hinstellen. Wenn du nun den Ort erreichst, werden meine Verwandten
auf dich zukommen. Sie werden dich angreifen. Du darfst nicht vor ihnen davonlaufen. Du darfst dich nicht
bewegen."
Der Mann erinnerte sich an das, was sein Sohn ihm gesagt hatte, und genau so kam es auch. Die Büffelkuh
und ihr Junges liefen weiter. Der Mann folgte ihnen rasch. Er wurde müde und sehr durstig, aber mehrmals
fand er in der Spur des Kalbs Wasser. Er fand auch Nahrung, die sein Sohn ihm hingestellt hatte.
Am nächsten Tag erreichte die Frau und ihr Sohn die Heimat der Büffel. Als die Tiere sie kommen sahen,
sprachen sie zueinander: "Die Büffelfrau kommt. Sie bringt jemanden mit. Was sollen wir tun?"
Sie versuchten, einen Beschluß zu fassen, und endlich kamen sie überein, den Mann zu töten, wenn er
nicht umkehren wolle. Sie schickten seinen Sohn zu ihm, um ihm das ausrichten zu lassen. Als die Frau das
Dorf erreichte, in dem sich die Büffel aufhielten, lag der Mann auf dem Weg zum Dorf hin noch weit zurück.
Als er näher kam, hielt er auf einem Hügel inne und blieb dort sitzen, klagend und weinend. Nach einiger
Zeit kam der kleine Junge zu ihm und sprach: "Besser du gehst. Mein Großvater und meine Onkel sind sehr
schlecht. Sie wollen dich töten." Der Vater antwortete: "Nein, mein Sohn. Ich folge dir. Ich liebe dich. Ich
bin bereit, für meine Liebe zu dir zu sterben." Der Junge kehrte zu den Büffeln zurück und erzählte ihnen,
was sein Vater ihm gesagt hatte.
Der Häuptling der Büffel schickte nun seinen Sohn aus, um den Mann töten zu lassen. Der junge Büffel kam
langsam den Hügel herauf. Oft blieb er stehen und wirbelte Staub auf. Als er ganz nahe an dem Mann heran­
gekommen war, senkte er seinen Kopf und stürmte gegen ihn los. Der Mann bewegte sich nicht. Er saß
regungslos da. Ehe sein Schwager ihn über den Haufen zu rennen sich anschickte, besann dieser sich anders.
Er sah zu dem Mann hin und sagte: "I yo hoh, mein Schwager besitzt ein starkes Herz." Dann wandte er
sich um und rannte den Hügel herunter.
Als nächster kam der Schwiegervater des Mannes und wollte ihn töten. er verhielt sich ganz genau so, wie
sein Sohn sich verhalten hatte. Er warf Staub auf, stürmte dann gegen den Mann an. Der aber bewegte sich
auch jetzt nicht. Da hielt der alte Büffel inne und sagte: "I yo hoh. Mein Schwiegersohn hat ein starkes Herz."
Dann machte er kehrt.
Die Büffel berieten nun wieder, was weiter geschehen soole, und als sie zu einer Entscheidung gekommen waren,
schickten sie den Sohn zu dem Mann hin, um ihm ausrichten zu lassen, was sie beschlossen hatten. Des Sohn
sagte: "Vater, sie werden dich jetzt hinunter zur Herde rufen, und wenn du unter all den Tieren mich und meine
Mutter nicht herausfindest, werden sie dich töten. Ich will versuchen, dir das Leben zu retten. Wenn du dich
unter den Büffeln umsiehst, werde ich derjenige sein, der links von den anderen Kälbern steht und mit den Ohren
wackelt. Auf den Höcker meiner Mutter werde ich eine große Zecke setzen. Meine Großmutter erkennst du an
demselben Zeichen, aber bei ihr sitzt die Zecke mitten auf dem Rücken. Bei meinem Großvater sitzt das Tier
am Kopf und bei meinem Onkel nahe dem Schwanzansatz. Schau genau hin."
Der Häuptling der Büffel hieß seine Kälber sich in Reihen aufstellen. Die jungen Kälber in eine Reihe. Die jungen
Kühe in die nächste, dann die jungen Bullen und dahinter die alten Kühe und die alten Bullen. Darauf ließ er seinen
Schwiegersohn auffordern, seinen Sohn, seine Frau, seinen Schwager, seine Schwiegermutter und ihn selbst in der
Reihe der Tiere herausfinden. Der Mann kam, und er fand alle. Da waren die Büffel erstaunt und sprachen unter­
einander: "I yo hoh, das ist ein großer Mann."
Auf der Prärie, wo die Büffel kampierten, standen viele Bündel, die ihren Besitz enthielten, und die Bündel hatten
alle als Verzierung Quasten. Der Junge sprach zu seinem Vater: "Jetzt werden sie dich auffordern, das Bündel
meiner Mutter herauszufinden. Ich werde einen kleinen Stock dort hineinstecken, wo die Schnüre zusammenge­
bunden sind. So wirst du wissen, welches der rechte Sack ist." Als die Büffel dem Mann nun diese Aufgabe
stellten, fand er auch den Sack seiner Frau sofort heraus. Als Letztes mußte er noch unter allen Kissen und
Decken diejenige bezeichnen, die seiner Frau gehörte. Auch hier half ihm sein Sohn, indem er sie mit kleinen
Stöcken markierte.
Jetzt waren die Büffel überzeugt, daß dies ein Mann sei, der zu ihnen paßte. Sein Schwiegervater befahl seinen
Leuten, eine Hütte für ihn zu bauen. Er fragte: "Aber wie wollen wir diesen Menschen durchfüttern? Was können
wir ihm zu essen geben? Die Nahrung, die er verträgt, haben wir nicht. Er kann nicht wie wir Büffel, Gras fressen.
Wir wollen einen Büffel töten und ihn von dessen Fleisch kosten lassen. Vielleicht schmeckt es ihm." Also
töteten sie einen Büffel, und der Mann aß davon. Der alte Büffel fragte seine Tochter, ob ihrem Mann das Fleisch
denn nunauch geschmeckt habe. Seine Tochter antwortete: "Er mag es. Es schmeckt im gut."
Während sich all dies zutrug, brachen immer wieder Abteilungen mit Kriegern der Büffel auf, um nach den Lagern
ihrer Feinde Ausschau zu halten. Zu dieser Zeit kannten die Menschen noch keinen Pfeil und keine Bogen.
Sie lebten von Wurzeln und den Pilzen, die an alten Baumstämmen wuchern und von der weichen, inneren Borke
gewisser Bäume. In jenen Tagen pflegten die Büffel die Menschen zu fressen.
Eines Tages ging der Mann dorthin, wo die Büffel kämpften, um zu sehen, was geschah. Die Büffel hatten gerade
eine ganze Anzahl von Leuten getötet und waren gerade dabei, die Hinterteile aufzuhängen. Es kam den Nann
schwer an, so viele Menschen tot vor sich zu sehen.
Eines Nachts träumte er etwas. Er träumte von einem Gerät, mit dem man Dinge, die sich weit fort befanden,
durchbohren konnte. Er ging in die Hügel und dachte lange darüber nach, und endlich erfand er ein solches Gerät.
Er nahm die Sehnen von dem Büffel, der getötet worden war und einen Stock und fertigte einen Bogen: den ersten,
der je gemacht worden ist.
Er nahm die Waffe nicht mit ins Lager, sondern versteckte sie auf den Hügeln. Noch hatte er keine Pfeile. Aber
er sammelte kleine Stöcke. Er nahm andere Sehnen, und er fand einige Feder. Er sah sich auf den Hügeln nach
scharfen Steinen um und band sie mit dünnen Sehnenschnüren an seine Pfeile fest. Als seine Pfeile fertig waren,
verbarg er auch sie auf dem Hügel und ging heim. Jeden Tag kam er zurück, schoß mit ihnen, um sich zu üben.
Eines Tages, als der Mann wieder weit vom Lager entfernt draußen auf der Prärie war, sah er eine Herde Büffel
angriffslustig über den Hügel gestürmt kommen. Er versteckte sich, kroch durch das Gras, um zu schauen, was
sie tun würden. Als er nahe genug herangekommen war, sah er eine Gruppe von Menschen hinter einer Brustwehr,
und die Büffel rannten gegen sie an. Die Menschen versuchten, sie mit Keulen abzuwehren. Durch die Brustwehr
gelang es den Büffeln nicht, an die Menschen heranzukommen. Der Mann begann mit seinen Pfeilen die Büffel
zu beschießen und einige brachen tot zusammen. Die anderen aber riefen: "Lauft, hier ist eine mächtige Person."
Die Büffel hatten schon einige Leute getötet und ihr Fleisch und das Fett an sich genommen. Sie versteckten
ihre Beute hinter ihrem Hals und rannten. Der Mann sagte zu den Menschen, denen er geholfen hatte:
"Zerlegt diesen toten Büffel und versucht sein Fleisch! Ich habe es schon probiert. Es schmecht gut."
Er fertigte später viele Bogen und Pfeile für die Menschen, und von dieser Zeit an begannen sie sich zu verteilen
und über die Prärien hinzustreifen ­ so zu leben, wie Menschen eben leben.
Die Büffel aber rannten fort, sobald sie Menschen sahen und griffen sie von sich aus nie mehr an. Der Mann aber
wurde der erste Mensch mit großer Macht. Er hatte den Stamm gerettet.
So war es, als wir zu leben begannen.



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